Überlegungen zu Tupoka Ogettes Buch “exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen”

von Tymoteusz Schodowski

Im Verlauf des Kurses, insbesondere anlässlich des Buches von Tupoka Ogette, tauchte ein Problem des Rassismus auf. Ich komme aus Polen, wo dieses Thema in der öffentlichen Diskussion praktisch nicht vorkommt – was aber nicht heißt, dass es nicht existiert. Zunächst interessierte mich das Phänomen selbst – wie manifestiert es sich im Alltag der Polen, wo ist dieser Rassismus richtig angesiedelt, was sind seine Erscheinungsformen? Vielleicht in dem, was wir unbewusst am Tisch oder im Bus sagen? Aber wie können wir das überprüfen, wenn wir uns dessen meist nicht bewusst sind? Wen soll man fragen? Um was zu fragen? Dann ein anderes Thema schien mir interessanter zu sein. Wenn man zur Beantwortung der obigen Fragen einige „Nachforschungen“ anstellen müsste, die ohnehin größtenteils auf subjektiven Erzählungen beruhen würden, warum dann nicht auf das Medium schauen, das solche Beschreibungen schon schafft? Die polnischen Medien waren jedoch aus offensichtlichen Gründen nicht sehr hilfreich.

So kam mir die Frage in den Sinn – was ist der (Anti-)Rassismus für Deutsche, hier wo ich aktuell meine echte Heimat finde? Definitiv ist dieses Thema hier vorhanden. Als etwas Wortgewandtes oder zumindest eine Beschreibung, als ein Diskurs, wie manifestiert er sich in der öffentlichen Debatte, wie wird er vorgestellt? Wozu dient es? Wie nah könnte das an tatsächlichen rassistischen Einstellungen – an seinem Gegenteil – sein?

Ich habe zwei populäre Filme von YT und zwei Ausschnitte aus dem Buch “Exit Racism” als extreme Beispiele für die Form genommen: im ersten Fall handelt es sich um etwas, das mit einem Klick leicht zugänglich ist, im zweiten muss der Leser seine Hand ausstrecken, eine „Arbeit“ leisten.

Im Buch wird die Theorie der Autorin mit den Erfahrungen, über die sie schreibt, verbunden. Unter anderem ist Rassismus seinen Ausführenden unbewusst und sie werden den Rassisten immer mit einem anderen identifizieren. Hier, in einer Situation, in der ihr Sohn in der Schule offiziell als “echter Deutscher” diskreditiert wird und die Eltern der anderen Schüler, nachdem sie von der Situation erfahren haben, nicht wollten, die Ereignisse rassistisch zu nennen, es zuzugeben, dass sie wesentlich rassistisch waren. Und es ging nicht so darum, dass diese Menschen nicht wussten, dass es da etwas unmenschlich oder zu mindestens unanständig passierte.

Im Video mit dem Bus ist die Situation irgendwie umgekehrt. “Rassismus” wird hier arrangiert, er ist nicht Gegenstand einer bestimmten Reflexion, etwas, das nicht so leicht zu erkennen ist, wie in einer realen Situation, sondern ist er fast benannt – so gestaltet, präpariert, dass er in jeden Fall leicht zu unterscheiden wäre. Aber ist das nicht das eigentliche Problem des Rassismus, wie Tupoka ihn erfasst? Dass es nichts Unumstößliches ist, dass die Tatsache, dass es leicht versteckt werden kann, die größte Gefahr ist. Weder das Thema noch die Menschen im Bus wurden ernst genommen. Das ist kein Test, ob die Gesellschaft rassistisch oder nicht ist. Eher – wären die Menschen vielmehr in der Lage zu erkennen, dass “etwas nicht stimmt”, wenn Rassismus im Alltag programmiert, offen politisch wäre? Schließlich ist es absurd, in der Lage der Passagiere nicht heilig überzeugt zu sein, um zu glauben, dass das, was passiert, nicht tatsächlich möglich ist. Es ist, als würde man ein ähnliches Experiment machen, aber anstatt die verwendeten Posters, die Hakenkreuze im Bus hängen und versuchen, den Leuten zu täuschen, dass sie an diesem Tag aufgewacht sind, zur Arbeit jetzt gehen und plötzlich„Drittes Reich“ erneut existiert. Wenn dieses Video genau ein solches Bild von Rassismus als etwas Augenfälliges, Eindeutiges fördert, verschließt es dem Publikum die Augen dafür, was Rassismus wirklich sein könnte. Etwas, das theoretisch als objektives Experiment gedacht war, ist in Wirklichkeit eine Lüge, eine Komödie, ein Amüsement auslösende Schachzug und tut genau das Gegenteil von dem, was seine Annahmen sein sollten (wenn man davon ausgeht, dass es aufrichtig mit dem Kampf gegen Rassismus verbunden war). Rassismus findet normalerweise nicht in der Öffentlichkeit statt, er findet nicht vor oder für weißen Menschen als Spektakel statt, um von ihnen beobachtet zu werden. Sein Wesen liegt in der Erfahrung aus erster Person der Diskriminierten.

Eine ganz ähnliche Figur ist das Fragment aus dem Video über Günther Wallraff, der sich als Schwarzer verkleidet (sog. „Blackface“), um zu Menschen zu gehen und Material über Rassismus in Bezug auf sein Aussehen zu sammeln. Bezeichnenderweise wird er beim Styling von echtem Schwarz begleitet. Seine Blicke zu Wallraff, als er sein Aussehen verändert, um wie er auszusehen, sind redegewandt. Warum sucht der Journalist nach künstlich geschaffenen Sensationen, wenn er neben einen echten, verlässlichen – keinen Zeugen, sondern einen– Empfänger von Rassismus hat, jemanden, der wirklich erleben konnte, was Rassismus in Deutschland im Kern ist?

Meine Schlussfolgerung ist, dass gute Absichten in der öffentlichen Debatte über ethnische Diskriminierungen nicht ausreichen. Stattdessen braucht es die Integrität,

Stärke und Stimmen echter Vertreter von Opfergruppen – niemand und nichts anderes kann sie würdig ersetzen. Natürlich gibt es auch einige: vor allem bei unabhängigen Medien in Form von z.B. Podcasts. Der Punkt dieses Projekts war jedoch, eine populäre Position in visueller Form einer komplexeren mit einer vertrauenswürdigeren Definition von Rassismus gegenüberzustellen – mit einem festen Bezugspunkt, der in der Lage ist, das Wesen des Rassismus in die Schriftsprache übertragen zu können.

Das verwendete Material:

  • Tupoka Ogette, „Exist Racism. rassismuskritisch denken lernen”, UNRAST-Verlag, Münster, 2017: S. 87-89, 112-115.
  • „Sozialexperiment: Rassismus im Bus | Quarks“: https://youtu.be/Di4KDehaYJw
  • „Günter Wallraff: Schwarz auf Weiß“: https://youtu.be/ZFfPXqH00Kw

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