Der Feminismus ist ein Begriff, der sehr oft beiläufig benutzt wird, ohne wirklich verstanden zu werden. Aber was bedeutet er eigentlich? Man kann ihn verstehen als die Gleichbehandlung der Männer und Frauen, entweder durch das Recht oder durch eine verbreitete Ideologie des Geschlechts. Aber wie genau sollen wir diese Gleichbehandlung verstehen? Ist sie nur gesellschaftlich und politisch, oder hat sie auch einen wirtschaftlichen Teil?
In diesem Text werden wir diskutieren, wie Frauen in der politischen Sphäre in Beziehung zum Feminismus repräsentiert werden, und wie wir einen besseren, kritischeren Feminismus schaffen können. Zuerst werden wir untersuchen, worauf der Begriff „Feminismus” häufig in der deutschen Öffentlichkeit bezogen wird. Zweitens werden wir zeigen, dass der Feminismus sehr oft mit den Leitpositionen in Verbindung gebracht wird. In den deutschen Medien wird der Feminismus überwiegend durch mächtige Frauenfiguren wie Angela Merkel verkörpert, während die wirtschaftliche Wirklichkeit der Mehrheit der Frauen in Deutschland weniger thematisiert wird. Dieses Verhältnis zwischen der Vorstellungswelt des Feminismus und den sozioökonomischen Bedingungen der Mehrheit der Frauen zeigt, dass der Diskurs über den Feminismus in der deutschen Öffentlichkeit einseitig ist. Es wird viel zu wenig thematisiert, wie die Lebensbedingungen der sozial schwächeren oder nicht mächtigen Frauen sind. Ein Feminismus, der sich nur jenen Frauen widmet, die schon über viele Privilegien verfügen, kann nie politisch wirksam werden.
Was bedeutet Feminismus?
Um die Verwendung des Begriffs Feminismus in der deutschen Öffentlichkeit aufzuzeigen, werden wir zwei verschiedene Beispiele davon diskutieren. Das erste Beispiel ist der W20-Gipfel, der am 25. und 26. April 2017 in Berlin stattgefunden hat, und wo politische Figuren wie Ivanka Trump und Angela Merkel teilnahmen. Das zweite Beispiel ist der von der AfD durchgeführte „Marsch der Frauen“. Diese zwei Beispiele stellen zwei unterschiedliche ideologische Fraktionen der deutschen Politik dar: Das erste Beispiel repräsentiert eine liberale Überzeugung und das zweite eine besonders rechte Überzeugung. Anhand dieser Beispiele werden wir ideologisch verschiedene Äußerungen eines sogenannten Feminismus diskutieren.
Während des W20-Gipfels am 25. April hat die Journalistin Miriam Meckel Merkel gefragt, ob die Bundeskanzlerin eine Feministin sei. Sie hat erwidert, dass sie sich nicht mit einem Titel schmücken möchte, den sie gar nicht verdient. Sie hat zudem bemerkt, dass es richtige Kämpferinnen wie Alice Schwarzer gebe, und dass sie sich daher selber nicht wie eine Feministin beschreiben würde. Ganz im Gegensatz zu Ivanka Trump also, die bekannt gab, dass sie sich den Titel „Feministin” geben würde, schwieg Merkel. Was bemerkenswert ist, ist die aus dem Begriff „Feminismus” entstehende Spannung, denn sie weist darauf hin, dass es sehr verschiedene Weisen gibt, für Frauen zu kämpfen, und die sozialen Konsequenzen des Sexismus zu betrachten. Obwohl Ivanka Trump sich als Feministin bezeichnet, muss man auch die Widersprüche zwischen ihrer feministischen Selbstidentifizierung und ihrer sozioökonomischen Praxis aufzeigen. Zum Beispiel besitzt sie laut eines Artikels in der Tageszeitung vom 25. April 2018 eine Schuh- und Bekleidungsfirma, die ihre Mitarbeiter ausbeutet. 1. Deshalb bedeutet es im Grunde nichts, dass Ivanka Trump sich als eine Feministin bezeichnet, weil sie trotzdem die viel zu gering bezahlte Arbeit armer Arbeiterinnen ausbeutet. Trumps Tochter behauptet zwar, dass sie für Frauen kämpft, aber sie trägt zu der systematischen Unterdrückung armer Frauen bei. Dieser Widerspruch wirft die Frage auf, ob jemand sich wie ein Feminist oder eine Feministin trotz seiner oder ihrer tatsächlichen Praxis bezeichnen darf. Wenn die Medien Ivanka Trump als Feministin bezeichnen, dann muss man fragen, was „Feminismus” wirklich in diesem Zusammenhang bedeutet. Können Frauen wie Ivanka Trump, die andere Frauen unterdrücken, sich selbst als Feministinnen beschreiben, nur weil sie Frauen sind? Selbst wenn diese Frauen auch Feministinnen sind, wird der „Feminismus” so seine Bedeutung verlieren.
Eine ähnliche Frage stellt sich, wenn wir uns den von der Frauenrechtlerin Leyla organisierten „Marsch der Frauen” der AfD anschauen. Der Marsch, der am 17. Februar 2018 in Berlin stattfand, hatte einen ähnlichen Namen wie der amerikanische Marsch für Frauen. 2 Es fällt schwer zu glauben, dass die AfD für eine feministische, politische Plattform kämpft. Mit ihrer migrationsfeindlichen Politik 3 weist die AfD darauf hin, dass sie nur „biodeutsche” 4 Frauen unterstützen würde. Die AfD nutzt diesen Marsch, um zu vermitteln, dass ihre Politik attraktiv für weiße, wohlhabende, heterosexuelle Frauen ist. Man darf sich aber nicht, so meinen wir, als „Feministin” bezeichnen, wenn man nicht akzeptieren kann, dass die Lebensbedingungen und Hintergründe der Frauen sehr unterschiedlich sind. Der Feminismus muss Pluralität einschließen. Der Marsch der Frauen der AfD zeigt, wie der Begriff „Feminismus” missbraucht werden kann. Was bedeutet denn der Feminismus noch, so fragen wir uns, wenn Frauen wie Ivanka Trump und AfD Politikerinnern und Politik mit dem Begriff Feminismus assoziiert werden und ihn für sich beanspruchen? Wenn Feminismus auch rassistisch, xenophob und ausbeuterisch sein kann, was ist der denn dann noch wert?
Über das Verhältnis von Feminismus und Führungspositionen
Mit diesem gerade geschilderten Problem verbunden stellt sich uns die Frage, ob weibliche Führung immer automatisch auch „feministisch” ist (z.B. im Falle von Merkel oder von Ivanka Trump). Viele vertreten die Meinung, dass machtvolle Frauen immer feministisch seien oder einen Erfolg des Feminismus repräsentieren, egal welche Perspektiven sie haben. Diese Ansicht entsteht aus der liberalen Annahme, dass alle Perspektiven in einer demokratischen Gesellschaft eine gewisse Gültigkeit haben. Zum Beispiel vertritt Christiane Hoffmann diese Meinung in einem am 16. März 2018 im Spiegel veröffentlichten Artikel „Das Matriarchat”. Sie argumentiert, dass Merkel trotz ihrer Ablehnung der Selbstidentifizierung als „Feministin” Fortschritte für Frauen durch die Einstellung vieler Frauen in ihre Regierung geschafft habe. Laut Hoffmann kann man angeblich für Frauen wirksam kämpfen, indem man sie stärker an der Regierung beteiligt. Daher sei auch Invanka Trumps Regierungsbeteiligung positiv zu bewerten.
Aber man kann diese politischen Entwicklungen auch anders betrachten. Das primäre Problem mit diesem Feminismus-Ansatz liegt darin, dass er die Machtstrukturen vernachlässigt, die das tägliche Leben der Mehrheit der Frauen in Deutschland und jenseits Deutschlands bestimmen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die bereits kurz angesprochenen Ausbeuterbetriebe von Ivanka Trump. Ihre Unternehmensführung führt vor Augen, dass sich die erhöhte Repräsentation von wenigen mächtigen Frauen in Regierungen nicht unbedingt positiv auf die täglichen Realitäten normaler Frauen auswirkt. Wir glauben, dass so ein Feminismus weder hilfreich noch politisch nützlich ist, weil er für 99% der Frauen nicht repräsentativ ist.
Um diese Idee deutlicher zu machen, müssen wir uns anschauen, wie Merkel in deutschen Medien dargestellt wird. Wenn wir an die Wahlkampagne von 2017 denken, können wir uns sicher an viele Plakate von Merkels Gesicht erinnern. Auf diesen Plakaten standen keine Punkte der offiziellen CDU-Kampagne oder ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Positionen. Stattdessen waren auf diesen Plakaten Merkels Gesicht und eine vage Aussage von einem besseren oder stabilen Leben zu sehen; sie sah still und beherrscht aus. Wenn man nur diese Plakate anschaut, kann man sich vorstellen, dass Merkel so ist, wie sie die Autorin des Artikels „Das Matriarchat” beschreibt. Beim Lesen des Artikels gewinnt man den Eindruck, dass die Gleichstellung der Männer und Frauen schon eine Realität ist, weil Merkel mächtige Positionen mit Frauen besetzt hat. Aber die ganze Geschichte des Merkelismus ist kompliziert, und kann nicht nur als Matriarchat verstanden werden.
Hoffmann versucht in dem Artikel zu zeigen, dass die Änderungen, die Merkel angefangen hat, wichtiger als nur Feminismus und Frauenquote sind. Merkel habe, so Hoffmann, eine tiefgreifende Veränderung geschaffen, die das Verhältnis der Geschlechter in der Politik verändert habe. Veränderte Geschlechterverhältnisse in der Politik sind zwar wichtig, aber noch wichtiger sind die wirtschaftlichen Nachwirkungen des Sexismus. Diese Folgen wirken sich auf die tägliche Realität der meisten Frauen direkt aus. Zum Beispiel verdienen deutsche Frauen immer noch deutlich weniger Geld als deutsche Männer. 5 Laut einer 2017 durchgeführten Studie bei der Webseite Absolventa verdienen Männer einen durchschnittlichen Stundenlohn von 21 Euro, wohingegen Frauen nur auf 16,59 Euro kommen. 6 Diese Lücke besteht aus einem Unterschied von ungefähr 21 Prozent, eine Tatsache, die mit der Regierung von Merkel nicht geändert worden ist. Frauen sind zudem immer noch die primären Pflegerinnen von Kindern. Die Auswirkung dieser Realität besteht darin, dass Frauen weniger Zeit haben, zu arbeiten und Geld zu verdienen. Insgesamt haben Frauen und insbesondere ökonomisch benachteiligte Frauen weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit auch weniger wirtschaftliche Stabilität. Trotz des deutschen „Matriarchats” wird es deutlich, dass die wirtschaftliche Realität der Mehrheit der Frauen sich nicht erheblich verbessert hat.
Zum Abschluss unser Vorschlag
Aber wie könnte ein anderer Feminismus aussehen, der alle Frauen anspricht? Unser Feminismus soll antikapitalistisch, antirassistisch und queer-inklusiv sein. Der Feminismus muss unbedingt klassenbewusst bleiben. Wenn man nur über Frauen an der Macht spricht, vergisst man den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem der Sexismus seit langer Zeit Erfolg hat. Man vergisst zudem, dass dieselben Machtstrukturen, in denen Merkel oder Ivanka Trump agieren, die systematische Unterdrückung der Frauen durch materielle und wirtschaftliche Bedingungen hervorgebracht haben. Deshalb muss ein wahrer Feminismus auf diese Machtstrukturen und ökonomischen Bedingungen direkt zugehen. Es gibt viele Beispiele für einen Feminismus, die sich mit solchen Zielen beschäftigen. Eines dieser Beispiele ist die feministische Kritik der Linken, die auf die wirtschaftlichen Bedingungen sowohl der deutschen Staatsbürgerinnen als auch der Immigrantinnen hinweist. Die feministische Linke befasst sich auch mit Prostituierten, deren Situation sehr oft von anderen Parteien und von der allgemeinen Gesellschaft vernachlässigt wird. Politikerinnen wie Merkel oder Ivanka Trump müssen all die vielfältigen Benachteiligungen der Frauen ansprechen, wenn sie als Feministinnen bezeichnet werden wollen oder auch, wenn sie Frauen unterstützen wollen, ohne sich als „Feministin” zu bezeichnen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Feminismus die Kämpfe gehen die Armut, den Rassismus und die Homo- und Transphobie angehen muss. Frauen, die an der Macht sind, sind nicht unbedingt Feministinnen an sich, sondern werden oft benutzt, um ein verzerrtes und einseitiges Bild des Feminismus aufzubauen. Im deutschen Kontext wird Merkel zum Beispiel sehr oft als Feministin oder Frauenikone bezeichnet, obwohl ihre Politik Frauen nicht unbedingt dient. Der Feminismus-Begriff muss konkrete Bedeutungen haben, nur so kann er politisch nützlich sein. Ein Feminismus, der mobilisiert werden kann, um die Agenda der Eliten zu stärken, ist kein Feminismus, sondern ein Begriff ohne Inhalt.
Obwohl Frauenführung immer noch sehr wichtig ist, ist das nicht genug, um eine feministische und gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen. Mehr weibliche politische Teilnahme und mehr Frauen in Machtpositionen können bessere Lebensbedingungen für Frauen fördern. Aber wir müssen kritisch bleiben und nicht nur diesen Fortschritt sehen, sondern auch an andere Methoden denken, die die gegenwärtigen sexistischen Machtstrukturen auflösen können. Die wichtigste Frage wäre, wie das Leben der Mehrheit der Frauen verbessert werden kann. Darum unterstützen wir nicht ungefragt die Politik der Merkel oder anderer weiblicher Politikerinnen. Wir müssen für einen antirassistischen und queer-inklusiven Feminismus kämpfen, der gegen kapitalistische Ausbeutung ist und sich für die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation von 99% der Frauen einsetzt.
Zitierte Quellen
Alternative Für Deutschland, Alternative Für Deutschland, 2017, www.afd.de/zuwanderung-asyl/.
Freytag, Lilly. “Feminismus Bleibt Antirassistisch! Gegen Den „Marsch Der Frauen’ Der AfD.” Klasse Gegen Klasse, 5 Feb. 2018, www.klassegegenklasse.org/feminismus-bleibt-antirassistisch-gegen-den-marsch-der-frauen-der-afd/.
“Gehaltsvergleich Männer & Frauen: So Hoch Ist Der Gender Pay Gap.” Absolventa, 11 Apr. 2018, www.absolventa.de/karriereguide/arbeit-und-alltag/gehaltsunterschied-maenner-frauen.
Meret, Susi, and Birte Siim. “A Janus-Faced Feminism: Gender in Women-Led Right-Wing Populist Parties.” 2017 European Conference on Politics and Gender, University of Lausanne, Switzerland , 8 June 2017, ecpr.eu/Filestore/PaperProposal/bfadabb9-0084-4f31-9db3-525e6a4df751.pdf.
Rössner, Saida, “Das hat mit Klasse zu tun,” die Tageszeitung, 25 Apr. 2018, http://www.taz.de/!5399649/
- Rössner, Saida, “Das hat mit Klasse zu tun,” die Tageszeitung, 25 Apr. 2018, http://www.taz.de/!5399649/
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- Alternative Für Deutschland, Alternative Für Deutschland, 2017, www.afd.de/zuwanderung-asyl/
- Meret, Susi, and Birte Siim. “A Janus-Faced Feminism: Gender in Women-Led Right-Wing Populist Parties.” 2017 European Conference on Politics and Gender, University of Lausanne, Switzerland , 8 June 2017, ecpr.eu/Filestore/PaperProposal/bfadabb9-0084-4f31-9db3-525e6a4df751.pdf
- “Gehaltsvergleich Männer & Frauen: So Hoch Ist Der Gender Pay Gap.” Absolventa, 11 Apr. 2018, www.absolventa.de/karriereguide/arbeit-und-alltag/gehaltsunterschied-maenner-frauen
- Ibid.